Gesunder Mund, gesunder Körper – wie können uns Zahnfleischbluten & Co. krank machen?

„An jedem Zahn hängt ein ganzer Mensch“ – schon vor über 500 Jahren stellte der Schweizer Arzt Paracelsus mit diesem berühmten Satz klar, wie eng ein gesunder Mund und ein insgesamt gesunder Körper zusammenhängen. Darum gilt es: Zähne reinigen, Mundhygiene betreiben, auch für einen insgesamt gesunden Körper.

Zusammenhang von Mund- und Allgemeingesundheit

Bis heute hat sich die Verbindung „gesunder Mund und gesunder Körper“ als immer enger erwiesen. Am leichtesten zu fassen ist sie in den mechanischen Vorgängen im Kiefergelenk, im Hals-Nacken-Bereich und im Rücken. Verspürt ein Patient hier Schmerzen, so lässt sich zunächst oft schwer entscheiden, ob das Übel aus dem Rückenbereich herrührt und auf Kopf und Mund ausstrahlt oder ob zum Beispiel eine Zahnfehlstellung Kaumuskulatur und Kiefergelenk beansprucht und diese Probleme sich in Hals und Rücken fortsetzen.

Doch eines steht in einem solchen Falle fest: Zur Behandlung dieser Störung (in der Fachsprache: Craniomandibuläre Dysfunktion [CMD]) ist ein interdisziplinäres Vorgehen unter Beteiligung von Zahnarzt, Kieferorthopäde und Orthopäde gefragt.

Parodontitis hängt mit vielen Allgemeinerkrankungen zusammen: zum Beispiel mit Diabetes.

Parodontitis hängt mit vielen Allgemeinerkrankungen zusammen: zum Beispiel mit Diabetes.

Im Laufe der Zeit und insbesondere in unseren Tagen sind viele weitere Zusammenhänge zwischen einem gesunden Mund, einem gesunden Körper und dem allgemeinen Wohlbefinden festgestellt worden. Aus zahnärztlicher Sicht steht als Erkrankung die Parodontitis im Mittelpunkt. Sie führt im Mund zu einer Zerstörung des Zahnhalteapparats und zu einer Lockerung der Zähne.

Parodontitis kann an einem einzelnen Zahn oder an mehreren auftreten. Insbesondere kann sie gemeinsam mit verschiedenen Allgemeinerkrankungen oder anderen Umständen einhergehen, so etwa mit Diabetes mellitus (Typ-I-Diabetes), mit Osteoporose, mit Rheuma (genauer: mit rheumatoider Arthritis), mit Demenz, mit chronischen Atemwegserkrankungen, mit Herzinfarkt und Schlaganfall oder mit Schwangerschaftskomplikationen.

Wie bei der CMD bleibt meist offen, was hier die Henne und was das Ei ist (Tab. 1): Ist rheumatoide Arthritis eine Folge von Parodontitis oder Parodontitis eine Folge von rheumatoider Arthritis? Führt überhaupt eine der beiden Erkrankungen zur anderen? Oder verschlimmert „nur“ die eine die andere? Oder manifestiert sich in Parodontitis und rheumatoider Arthritis eine unbekannte dritte Grunderkrankung, womöglich mit genetischer Ursache oder bedingt durch eine bestimmte Ernährungsweise oder den Konsum von Genussmitteln?

Tabelle 1: Miteinander in Zusammenhang stehende Erkrankungen

Erkrankung Charakteristika des Krankheitsbildes
Parodontitis chronische entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparats
Typ-I-Diabetes angeborene „Zuckerkrankheit“, Stoffwechselkrankheit mit dem Hauptmerkmal der Überzuckerung (Hyperglykämie) aufgrund eines Mangels an Insulin
Typ-II-Diabetes erworbene „Zuckerkrankheit“, Risikofaktoren unter anderem: hoher Zuckerkonsum, hohes Lebensalter
Arteriosklerose „Arterienverkalkung“, durch Ablagerungen verengte Gefäße
Herzinfarkt Verschluss eines Blutgefäßes des Herzmuskels (Herzkranzarterie)
Schlaganfall plötzlicher Ausfall einer neurologischen Funktion im Gehirn, entweder infolge einer Durchblutungsstörung oder infolge einer Gehirnblutung

Gesunder Mund, gesunder Körper – eine enge Beziehung

Die Verbindung zwischen der Munderkrankung Parodontitis und der Allgemeinerkrankung Diabetes mellitus gilt als besonders eng: Schlecht eingestellte Diabetiker weisen ein höheres Parodontitis-Risiko auf. Eine Parodontitis wiederum begünstigt Folgeerkrankungen von Diabetes mellitus, so etwa Nierenerkrankungen.

Auch zwischen dem Typ-II-Diabetes und Parodontitis bestehen Wechselwirkungen. Denn bei beiden Erkrankungen handelt es sich um chronisch entzündliche Prozesse. Beide können durch den Lebensstil negativ beeinflusst werden (z.B. hoher Zuckerkonsum), und mit zunehmendem Alter steigt das Risiko für Typ-II-Diabetes und Parodontitis.

Generell kann ein Entzündungsherd im Körper Entzündungen in anderen Regionen verschlimmern. Vor diesem Hintergrund erscheint es zum Beispiel plausibel, dass Bakterien, die innerhalb des Zahnbelags für Entzündungen im Mund verantwortlich zeichnen, womöglich über einen Spalt zwischen Zahnhartsubstanz und Weichgewebe in die Blutbahn gelangen können. Damit steht ihnen eine Reise durch den ganzen Körper offen, und sie können überall (Sekundär-)Entzündungen auslösen.

Damit ist auch ein Zusammenhang zwischen Parodontitis und rheumatoider Arthritis plausibel. Es ist bekannt, dass Patienten mit Arthritis häufig auch mit schweren Formen von Parodontitis zu kämpfen haben.

Einen zusätzlichen Risikofaktor für Parodontitis können medikationsbedingte Nebenwirkungen darstellen (z.B. Mundtrocken­heit oder Zahnfleischwucherungen). In diesem Zusammenhang werden generell Blutdrucksenker und speziell Nifedipin/Amlodipin genannt (Tab. 2). Umgekehrt können Parodontitis-Erreger direkt am rheumatologischen Krankheitsgeschehen beteiligt sein.

Tabelle 2: Beispiele für Nebenwirkungen von Medikamenten

Medikament Wirkung Nebenwirkung
Nifedipin/Amlodipin blutgefäßerweiternd, blutdrucksenkend Gingivawucherungen, Mundtrockenheit
Bisphosphonate Therapie von Knochenmetastasen oder von Knochenstoffwechselstörungen (Osteoporose) Kiefernekrose oder BONJ (bisphosphonat­assoziierte Osteonekro­se), im Gefolge: Zahn­lockerung, Eiteraustritt, Kieferbruch
Denosumab und Bevacizumab Antikörper zur Krebstherapie Kiefernekrose, im Gefolge: Zahnlockerung, Eiteraustritt, Kieferbruch
Acetylsalicylsäure, Ticagrelor, Clopidogrel und verschiedene andere Thrombozytenaggregationshemmung („Blut­verdünnung“) zur Ver­hinderung von Herz­infarkt und Schlaganfall verstärkte Blutungsneigung, unter anderem des Zahnfleischs
Methotrexat, Kortison und verschiedene andere Immunsuppression, damit das Immunsystem sich nicht gegen den eigenen Körper richtet (Autoimmunstörung) stärkere Anfälligkeit für Infektionen verschie­denster Art, insbeson­dere auch durch par­odontopathogene Keime

 

Entzündliche Prozesse können darüber hinaus zu einer Verengung der Blutgefäße führen. So steigt das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Auch die hormonelle Umstellung während der Schwangerschaft begünstigt das Fortschreiten einer vorhandenen Parodontitis. Ähnlich wirkt generell psychischer Stress. Im Ergebnis steigt das Risiko für eine Frühgeburt oder ein reduziertes Geburtsgewicht des Neugeborenen.

Mit Wechselwirkungen ist zu rechnen: Mundgesundheit und Herz. Gesunder Mund, gesunder Körper.

Mit Wechselwirkungen ist zu rechnen: Mundgesundheit und Herz.

Zu den häufigeren potenziell entzündlichen Prozessen zählen bei vielen Patienten chronische Atemwegserkrankungen. Denn auf einer Viruserkrankung setzt gern einmal eine bakterielle Infektion auf (z.B. Sinusitis, Bronchitis). Dann sind Wechselwirkungen mit Zahnfleischentzündungen wahrscheinlich.

Nicht auf den ersten Blick vermutet hätte man wohl einen Zusammenhang zwischen Osteoporose und Parodontitis. Osteoporose, auch Knochenschwund genannt, kommt zunächst schleichend daher und führt ab einem gewissen Ausmaß an Knochendemineralisierung zu Brüchen der nunmehr „weichen“ Knochen. Die Erkrankung kann aber auch auf den Mund übergreifen – als Kiefernekrose: Ein zurückweichender Kieferknochen in Kombination mit teildemineralisierten Zähnen begünstigt die Vermehrung von Bakterien und damit letztlich Parodontitis. Umgekehrt kann diese Entzündung dann weite Teile des Kieferknochens und des Bindegewebes befallen, knochenaufbauende und knochenabbauende Prozesse aus dem natürlichen Gleichgewicht bringen und dadurch einen Kieferschwund begünstigen, schlimmstenfalls bis zum Zahnausfall.

Ein gesunder Mund und ein insgesamt gesunder Körper hängen miteinander zusammen, und umgekehrt auch mögliche Erkrankungen, wie etwa: Parodontitis, Gefäßverengungen, Herzinfarkt, Schlaganfall und sogar Demenz.

Ein gesunder Mund und ein insgesamt gesunder Körper hängen miteinander zusammen, und umgekehrt auch mögliche Erkrankungen, wie etwa: Parodontitis, Gefäßverengungen, Herzinfarkt, Schlaganfall und sogar Demenz.

Auch Demenz zählt vorderhand nicht zu den Top-Kandidaten für Erkrankungen, die mit Parodontitis in Zusammenhang stehen. Dennoch: Eine groß angelegte und hochrangig veröffentlichte sogenannte Kohortenstudie hat aktuell schlechte Mundgesundheit explizit mit einem höheren Demenzrisiko in Verbindung gebracht und zudem interessante Zusammenhänge, etwa zwischen dem Tragen von Zahnprothesen und Gehirnstrukturen, aufgezeigt.

Gesunder Mund, gesunder Körper: Ursache und Wirkung

Es bleibt festzuhalten, dass viele statistische Zusammenhänge zwischen Munderkrankungen und Allgemeinerkrankungen festgestellt werden konnten. Ein gesunder Mund kann also mit einem gesunden Körper in Verbindung stehen. Demgegenüber liegen die Kausalzusammenhänge – „das Henne-Ei-Problem“ – nicht immer auf der Hand.

Nur für Parodontitis und Diabetes mellitus ließ sich zum Teil erhellen, wie die eine Erkrankung die andere auf mikrobiologischer Ebene befördert. Für den Rest können zumindest Plausibilitätsbetrachtungen über mögliche Domino-Effekte angestellt werden.

Das Gute bei solchen Kettenreaktionen oder Teufelskreisen liegt aus therapeutischer Sicht in der folgenden Erkenntnis: Es kommt nicht so sehr darauf an, an welcher Stelle ich die Kette nachhaltig schwäche oder den Teufelskreis unterbreche – Hauptsache ich greife überhaupt ein.

Vorbeugung von Mund- und Allgemeinerkrankungen

Angesichts der zahlreichen Wechselwirkungen nach dem Prinzip „gesunder Mund, gesunder Körper“, darf der Patient von Folgendem ausgehen: Wenn er etwas für seine Mundgesundheit tut, dann wirkt sich das in der Regel auch positiv auf seine Allgemeingesundheit aus. Umgekehrt wird ein gesunder Körper stets die Tendenz zu einem gesunden Mund unterstützen.

Das Paradebeispiel dafür stellt das Paar „Munderkrankung Parodontitis und Allgemeinerkrankung Diabetes mellitus“ dar. Denn hier sind die Zusammenhänge am besten wissenschaftlich belegt. So kann ein Diabetiker den Verlauf dieser Erkrankung durch eine konsequente häusliche Mundpflege und die Inanspruchnahme flankierender professioneller Maßnahmen in der Zahnarztpraxis positiv beeinflussen.

Grundsätzlich können sowohl das zahnärztliche Team als auch der Patient zu Hause auf bewährte Prophylaxekonzepte zurückgreifen. Für die häusliche Mundhygiene bieten sich bekannte Strategien an, an erster Stelle: Zähne reinigen mit Zahnbürste, Zahnpasta und Zahnseide. Wer Zahnseide nicht gut handhaben kann oder eine zusätzliche Sicherheit wünscht, wählt für die Zahnzwischenraumreinigung Interdentalbürsten. Für die schwer bis gar nicht erreichbaren Stellen stehen Mundspülungen zur Verfügung, insbesondere in der praktischen Darreichungsform von Konzentraten. Zur Verminderung der Zahl krankheitsauslösender Bakterien dienen außerdem Zungenschaber. Denn sage und schreibe rund 60 bis 80 Prozent aller Mundbakterien befinden sich auf unserer Zunge.

Gesunder Mund, gesunder Mensch?

Die Wechselwirkungen zwischen Parodontitis und Allgemeinerkrankungen gehen sogar so weit, dass Ärzte die Anzahl der nach Zahnausfall bzw. notwendiger Zahnextraktion verbliebenen natürlichen Zähne als sogenannten Prädikator für das Sterberisiko bei Herzerkrankungen heranziehen können. Salopp gesagt: Weniger verbliebene Zähne weisen tendenziell auf ein statistisch erhöhtes Sterberisiko.

Die Anzahl der verbliebenen Zähne kann sogar Hinweise auf das Sterberisiko geben. Gesunder Mund, gesunder Körper.

Die Anzahl der verbliebenen Zähne kann sogar Hinweise auf das Sterberisiko geben.

Einschränkend muss dazu gesagt werden, dass ein Prädikator nur eine von vielen Vorhersagevariablen darstellt. So lässt sich aus der Anzahl der verbliebenen Zähne keinesfalls der Tod des betreffenden Patienten vorhersagen. Erstens gibt es noch viele andere Einflussgrößen, und zweitens stellt jede Patientin und jeder Patient einen Einzelfall mit seinen eigenen Besonderheiten dar.

Positiv gewendet, lässt sich jedoch allgemein festhalten, dass an der Mundgesundheit ein ganzer gesunder Körper und das persönliche Wohlbefinden hängen: Was gut ist für den Mund, ist dem Menschen gesund.

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