Müssen Tiere zum Tierzahnarzt?
Ein gesunder Mund in einem gesunden Körper stellt die Voraussetzung für das Wohlbefinden von Mensch und Tier dar. Ja, auch vom Tier! Haustiere jedenfalls müssen ihre Zähne reinigen bzw. gereinigt bekommen, um ihre Zahngesundheit zu erhalten, oder größer gedacht: Auch bei Haustieren stellt eine adäquate Mundhygiene und eventuell ein Besuch beim Tierzahnarzt die Voraussetzung für Mundgesundheit dar.
Das wussten schon die alten Römer: Os sanum in corpore sano – ein gesunder Mund in einem gesunden Körper. Klar: Einige Tiere sind vom Reinigen der Zähne ausgenommen (Hühner zum Beispiel). Aber gerade für unsere typischen Haustiere, Hunde und Katzen, Meerschweinchen und Kaninchen, ist ein gesunder Mund so wichtig wie für uns selbst.
Dass unsere tierischen Freunde nie über Zahnschmerzen klagen, heißt keinesfalls, dass sie definitiv keine hätten oder bekommen könnten. Sie können es eben nicht mit Worten ansprechen. Tierarzt oder Tierzahnarzt (denn auch den gibt es!) können ihre Mundgesundheit fachlich einschätzen und gegebenenfalls Behandlungsvorschläge machen. Viele Fallbeispiele zeigen, wie notwendig dies sein kann. Sie reichen von der Therapie wackelnder Zähne beim Hund bis zur Wurzelkanalbehandlung beim Delfin.
Gesunder Mund beim Hund
In medias res: Ein wackelnder Zahn beim ausgewachsenen Hund ist ein Alarmsignal, denn dann haben sich Zahnfleisch und Knochen rundherum in der Regel schon so stark zurückgebildet, dass der Zahn gezogen (extrahiert) werden muss. Wahrscheinlich beeinträchtigen bereits Schmerzen das Wohlbefinden des treuen Vierbeiners.
An diesem Beispiel zeigt sich, wie wichtig es ist, das Tier von Anfang an eine adäquate Mundhygiene zu gewöhnen. Zahngesundheit, Mundgesundheit und ein insgesamt gesunder Körper lassen sich langfristig nur durch eine konsequente Prophylaxe erreichen – wie beim Menschen: Zähne reinigen, dabei gegebenenfalls spezielle Zahnbüsten oder Ultraschallzahnreiniger für Hunde einsetzen und/oder professionelle Hilfe vom Tierarzt oder Tierzahnarzt in Anspruch nehmen. Diese goldene Regel gilt auch im folgenden Fall.
Ein Fall für den Tierzahnarzt? Ein Zahn ist plötzlich lila!
Verfärbungen von Hundezähnen ins bläulich-violette können verschiedene Ursachen haben. Zum Beispiel kann infolge einer Krafteinwirkung (z.B. Schlag, Sturz) eine Blutung in einem Wurzelkanal erfolgen. Oder eine Entzündung, die zum Beispiel von der Wurzel ausgeht, hat sich ins Zahninnere ausgebreitet und dort die Blutung ausgelöst.
Das Blut verfärbt den Zahn. Ob ein Eingriff erforderlich ist, ergibt sich im Zuge der Untersuchung durch den Tierzahnarzt oder Tierarzt. Dabei wird meist auch ein Röntgenbild angefertigt, wozu wiederum in der Regel eine Narkose nötig ist. Dieser Aufwand ist jedoch unumgänglich, um die Ursachen des lila Zahns abzuklären.
Gegebenenfalls kann eine Wurzelkanalbehandlung nötig werden. Auch hier zeigt sich: So ein Tier ist auch nur ein Mensch. Die Erkrankungen und Therapieoptionen ähneln denjenigen beim Menschen. In der Regel wird sogar dasselbe zahnärztliche Instrumentarium verwendet: Turbinen, Winkelstücke und Handstücke, Diamantbohrer und Fräsen, Zahnfeilen, Parodontalsonden und Mundspiegel oder andere Handinstrumente. Gewisse Unterschiede gibt es dennoch, einen sehr großen zum Beispiel bei Katzen.
Katzen kriegen keine Karies, Kaninchenzähne kennen kein Wachstumsende
Im Gegensatz zu Hunden (und Menschen) bekommen Katzen keine Karies. Sie leiden eher an Zahnfleischentzündungen, und diese können sogar schon in jungen Jahren auftreten. Bei massiven Ausprägungen kann es nötig sein, alle Zähne zu ziehen (Extraktion). Diese Therapie hat Aussicht auf Erfolg. Auch ohne Zähne kann das Tier fressen (dann wieder mit Genuss) und ist wieder „er/sie selbst“.
Bei Kaninchen und Nagetieren sind Zahnprobleme sogar eine der Hauptursachen für tiermedizinische Behandlungen. Ein typisches Problem sind übermäßig wachsende Schneidezähne, eventuell in Kombination mit Zahnfehlstellungen. Als Therapieoptionen bieten sich eine regelmäßige Kürzung ebendieser Schneidezähne oder deren Extraktion an. Das Problem kann in dieser Form beim Menschen nicht auftreten, da unsere Schneidezähne nicht lebenslang nachwachsen.
So zeigt sich sowohl bei der Katze als auch beim Kaninchen: Es gibt doch auch fundamentale Unterschiede gegenüber bestimmten Tieren und Menschen bei den möglichen Munderkrankungen.
Große Tiere beim Tierzahnarzt
Neben unseren (kleineren) Haustieren benötigen auch die großen Tiere (beispielsweise im Zoo) Behandlungen durch einen Tierzahnarzt – zuweilen spektakuläre wie die Wurzelkanalbehandlung bei einem Delfin. Sie wurde in der Fachliteratur eindrucksvoll beschrieben: Ein Team rund um den südafrikanischen Tierzahnarzt Dr. Cedric Tutt gewöhnte die Delfinkuh Dumisah im Ocean Park Hongkong zunächst über Monate spielerisch an eine mögliche Wurzelkanalbehandlung. Diese war wegen der freiliegenden Pulpa (lebendiger Zahnnerv) eines Zahns angezeigt. Sie ließ sich am Ende erfolgreich vornehmen und wurde filmisch festgehalten.
Die Wurzelkanalbehandlung erforderte viel Geduld und zog sich über einen ganzen Tag hin. Sie konnte mit dem bekannten Instrumentarium für menschliche Patienten erfolgen.
Spezielle Feilen mit Übergröße kamen dagegen bei der Wurzelbehandlung von Löweneckzähnen zum Einsatz. Sie waren gebrochen und bedurften daher einer umfangreichen zahnmedizinischen Therapie. Tierchirurg Dr. Gerhard Steenkamp, ebenfalls aus Südafrika, nahm die Behandlung im Abu Dhabi Wildlife Center vor.
Gesunder Mund – warum ist das keine Selbstverständlichkeit?
Mit Blick auf Munderkrankungen und Therapiemöglichkeiten bei Mensch und Tier haben Experten eine Frage dennoch lange Zeit nicht befriedigend beantworten können: Warum verfügen Tiere in freier Wildbahn auch ohne jegliche Reinigung ihrer Zähne in der Regel über eine gute Mundgesundheit? Und warum hatten auch unsere Vorfahren vor der Jungsteinzeit relativ wenige Probleme mit Keimen, welche ihre Zahngesundheit und ihre Mundgesundheit insgesamt hätten beeinträchtigen können?
Nach neueren Forschungsansätzen liegt bei den Ernährungsgewohnheiten der Hase im Pfeffer. Der frühe Homo sapiens erarbeitete sich seine Nahrung als Jäger und Sammler. Er nahm Fleisch, Wildfrüchte, Gräser und Wurzeln zu sich. Mit dem Getreideanbau machte er sich zwar unabhängiger von diesem Nahrungsangebot der Natur. Der Zahngesundheit und auch der Gesundheit des Zahnfleischs war aber offenbar die frühere Ernährungsweise zuträglicher; zum Beispiel entwickelten selbst Menschen mit reichlich Zahnstein damals kaum Entzündungen.
Tatsächlich profitierten in einem Experiment sogar Menschen mit Zahnfleischentzündungen von einer altsteinzeitähnlichen Ernährung, die reich an Omega-3-haltigen Fettsäuren, an Ballaststoffen und Mikronährstoffen (Vitamine und Mineralien) war und keinen Industriezucker enthielt.
Es scheint so zu sein, dass wir unsere Unabhängigkeit vom „zufälligen“ Nahrungsangebot der Natur mit einem Mehr an Mundhygiene erkaufen müssten. Und unsere Haustiere haben wir offenbar dabei eingeschlossen. Immerhin steht uns für die Mundhygiene eine geeignete Ausrüstung zur Verfügung. Sie enthält unter anderem Zahnbürsten, Interdentalbürsten für die Zahnzwischenräume, Zahnhölzer aus Kunststoff (Dental Picks), Mundwässer und Mundwasser-Konzentrat und vieles mehr. Für die Zukunft bleibt spannend, wie die bestehenden Konzepte vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse über die Rolle der Ernährung optimiert werden könnten.